Perspektiven auf den digitalen Unterricht

Perspektiven auf den digitalen Unterricht

Seit über einem Jahr befinden sich die Schulen im Ausnahmezustand. Das sagen zwei Schüler der Oberstufe, ein Lehrer und eine Mutter zum digitalen Unterricht am Schulzentrum Marienhöhe:

Marian A. und Maximilian C. K., Oberstufenschüler am Schulzentrum Marienhöhe:

„Zu Beginn der Corona-Pandemie begann für unsere Schule eine Zeit, in der der Unterricht ganz anders ablief als gewohnt. Am Anfang erhielten wir unsere Arbeitsaufträge zu Hause noch per E-Mail, doch ab Anfang Juni 2020 nutzten wir für den Wechsel- und Fernunterricht das Programm Zoom. Da unsere Schule bereits seit vielen Jahren mit Smartboards ausgestattet ist und daher nur wenig weitere technische Ausrüstung angeschafft werden musste, gelang dies sehr gut. Zugleich stehen den Schülerinnen und Schülern auch zu Hause alle notwendigen Geräte zur Verfügung, um am Unterricht über Zoom teilzunehmen. Trotz einiger Anfangsschwierigkeiten in dieser Situation, konnten sich viele Schülerinnen und Schüler durch die gute Planung der Schulleitung im neuen Schulalltag zurechtfinden, auch wenn wir einige Einschränkungen und Belastungen, wie die Kontaktbeschränkungen hinnehmen mussten. Aber nicht nur die Schülerinnen und Schüler, sondern auch die Lehrerinnen und Lehrer konnten dies gut bewältigen und sich mit den neuen Unterrichtsformen anfreunden. Zudem ermöglicht das Programm Zoom mit der Funktion „Breakout-Sessions“ Gruppenarbeiten. Dabei nutzen wir nicht nur Zoom, sondern auch das Schulportal, eine vom Land Hessen bereitgestellte Website, mit der Arbeitsaufträge, Hausaufgaben und Arbeitsmaterialien für den Unterricht zusammen mit vielen anderen nützlichen organisatorischen Informationen hochgeladen werden. So haben auch die Schülerinnen und Schüler zu Hause Zugriff auf alle Unterlagen.

Trotz der besonderen Umstände konnten wir durch die technische Ausstattung, die gute Organisation seitens der Schule und den Einsatz der Lehrkräfte, den Unterricht an der Marienhöhe insgesamt sehr gut bewältigen.

Lars R., Lehrer für Mathematik und Politik & Wirtschaft am Schulzentrum Marienhöhe:

„Als Lehrkraft stellt mich der aktuelle Hybrid- und/oder Distanzunterricht, wie auch Schülerinnen und Schüler sowie Eltern, vor eine Herausforderung. Die Phasierung des Unterrichts, die Bewertung von Schülerleistungen und Überprüfung des Kompetenzerwerbs sind dafür nur einige Beispiele. Dennoch sehe ich in dieser Art des Unterrichts auch eine große Chance und mögliche Perspektiven. Wie die Arbeitswelt in der freien Wirtschaft muss auch in den Schulen neu gedacht werden. Die Möglichkeiten durch die Digitalisierung gilt es zu nutzen, um Lernen effektiv und nachhaltig zu gestalten. Natürlich funktioniert noch nicht alles perfekt, aber wir befinden uns (wenn auch unfreiwillig) in einer Lernphase, aus der wir viel mitnehmen können. Der Zoom-Unterricht bietet viele Möglichkeiten, das Lernen digital und interessant zu gestalten. Programme und Apps wie Menti oder Padlet lassen sich nutzen, um einen direkten Ideenaustausch der Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen oder bieten im Rahmen eines Quiz eine sportliche Herausforderung.

In den letzten Wochen konnte ich erleben, wie selbstverständlich diese Art des Unterrichts für viele unserer Schülerinnen und Schüler geworden ist und eine Anpassung sehr schnell vollzogen wurde. Gruppenarbeiten, Webquest‘s und andere Aktivitäten konnte ich nutzen, um einen abwechslungsreichen Unterricht zu bieten. Natürlich ist der Arbeitsaufwand hierfür sehr groß und kostet viel Zeit, aber in Zukunft kann man auf diese Erfahrungen zurückgreifen und effizienter werden.

Hierbei möchte ich gerne noch zwischen dem Hybrid- und dem reinen Distanzunterricht unterscheiden. Der Hybridunterricht ist um einiges anstrengender und verlangt von uns Lehrkräften eine enorme Konzentration durch die gleichzeitige Betreuung von zwei Gruppen. Außerdem muss man sich bei der Planung die Frage stellen, wie man beide Gruppen fördert, ohne die andere Gruppe zu benachteiligen. Deshalb würde ich persönlich den reinen Distanzunterricht dem Hybridunterricht vorziehen, wobei ich mich natürlich auch wieder nach dem Präsenzunterricht sehne. Doch allein die Möglichkeit, in dieser turbulenten Zeit Unterricht anbieten zu können, ist meiner Meinung nach eine großartige Sache.

Leider hatte ich zunehmend das Gefühl, dass die Schülerinnen und Schüler den reinen Distanzunterricht auf Dauer sehr ermüdend finden. Schule erscheint bei manchen als eine optionale Aufgabe und einigen fällt es teilweise immer schwerer, sich zu motivieren. Auch wir Lehrkräfte merken, wie anstrengend diese Art des Unterrichts auf eine längere Zeit gesehen ist. Sowohl auf Schüler- als auch auf Lehrerseite ist also Durchhaltevermögen gefragt.

Auch wenn es noch so manche Herausforderung zu meistern gilt, möchte ich dennoch unserem Unterricht an der Marienhöhe ein sehr positives Zeugnis ausstellen. Wir haben durch unsere gute Ausstattung die Möglichkeit, Vorreiter auf dem Gebiet des digitalen Unterrichts zu werden. Diese Chance gilt es zu nutzen und dafür sind Fehlschläge und das Feedback vonseiten unserer Schülerinnen und Schüler und der Eltern sehr hilfreich.

Für die Zukunft könnte ich mir eine Mischung aus Präsenztagen und Distanztagen im Unterricht vorstellen, ähnlich einiger Tage Arbeit im Home-Office. Fest steht allerdings, dass wir durch die pandemiebedingte Veränderung des Unterrichts neue Wege gefunden haben, um Lernen abseits der Schule erfolgreich umzusetzen.“

Anja G., Mutter:

„Mit Beginn der Corona-Pandemie hat sich unser Wortschatz unbeabsichtigt um etliche Begriffe erweitert. Wikipedia verzeichnete im Mai 2020 erstmals einen Eintrag zu „Distanzunterricht“ und recht bald hatten wir alle eine Vorstellung. Jeder verbindet damit seine eigenen Erfahrungen – hier sind ganz persönliche:

Nach Optimierung des technischen Equipments sowie des häuslichen W-LANs und anschließender Installation des Konferenztools „Zoom“, konnte der Distanzunterricht starten. Bereitschaft und Neugier, das Terrain neuer Unterrichtsmöglichkeiten zu betreten, war ohnehin vorhanden. Der offensichtlichste Vorteil liegt klar auf der Hand: Ein geregelter Unterricht. Man kann miteinander arbeiten und sich austauschen, diskutieren und unmittelbar reagieren. Distanzunterricht ist keine „Einbahnstraßen-Kommunikation“. Zusätzlich können Materialien digital zur Bearbeitung geteilt sowie Aufgaben der Schüler und Schülerinnen hochgeladen werden. Vielleicht kann das, was sich Positives aus dem Distanzunterricht ergibt, ergänzend eingesetzt werden, wenn man zum Präsenzunterricht zurückkehrt.

In Gesprächen mit Eltern, deren Nachwuchs andere Schulen besucht, war bald ersichtlich, dass die 1:1-Umsetzung des Stundenplans keine Selbstverständlichkeit ist. Das Festhalten am Stundenplan schafft eine wichtige Struktur. Diese verhindert, dass Tagesabläufe vollkommen aus dem Ruder laufen und man sich verzettelt, wie es zu Beginn der Schulschließung oft geschah.

Wie vermutlich viele Schüler und Schülerinnen, hat sich mein Sohn schnell in „Zoom“ eingearbeitet: Kamera- und Tonmöglichkeiten, Homestaging, Break out Räume, geteilte Bildschirme, „muten“…ein faszinierendes neues Paralleluniversum, das Schüler und Schülerinnen vermutlich weiterhin begleiten wird: Unis und Arbeitgeber haben das Potenzial erkannt, das Konferenztools bieten.

Weitere Vorteile lagen für den Nachwuchs klar auf der Hand: Länger schlafen, kein Fahrweg und das optimierte Prinzip „Vom Bett ohne Verzögerung an den Schreibtisch“! Ein Vergessen von Unterrichtsmaterialien unmöglich.

Distanzunterricht fordert von Schülern und Schülerinnen eine gute Organisation, Disziplin und Verantwortung. Daran kann man wachsen. Man muss seine Abgabetermine und Fristen zum Hochladen im Blick haben. Man muss sich auf das Unterrichtsgeschehen konzentrieren und aktiv mitarbeiten. Es ist anstrengend, über Stunden konzentriert dem Unterrichtsgeschehen zu folgen und permanent auf das Endgerät zu starren. Umso wichtiger, ein Kontrastprogramm zu finden…joggen, biken, wandern. Alles, was gut tut und möglich ist!

Distanzunterricht ist eine gute Alternative. Eine, die sich schnell entwickeln musste, von daher auch „Kinderkrankheiten“ aufweist und angepasst werden muss. Zu viel Frontalunterricht konnte mit Gruppenarbeit begegnet werden. Neben Ergebnissen ist hier Teamfähigkeit gefragt. Der Anteil an Hausaufgaben muss immer wieder ausbalanciert werden.

Dennoch gibt es Punkte, die Distanzunterricht nicht ersetzen kann. Digitale Vermittlung des Stoffes ist nicht automatisch mit Präsenzunterricht gleichzusetzen. Man sitzt allein vor dem Gerät. Wenn man etwas nicht versteht, fällt es teilweise schwer, dies via „Zoom“ allen mitzuteilen. Stimmungen, die in einem Klassenraum entstehen, verpuffen. Ein schneller Austausch mit dem Sitznachbarn, das Quatschen in den Pausen, persönliche Gespräche mit Lehrkräften – das alles kann nicht stattfinden und entlädt sich mitunter durch Frust. Wem es vorher nicht klar war: Schule als „sozialer Kitt“ fehlt. Bei allen Bemühungen ist ersichtlich, dass man sich ein wenig verliert.

Als Familie haben wir Alltag und Freizeit angepasst und neu organisiert. Plötzlich war die Rede von „Zeitfenstern“, wenn es um das Essen ging (und das ging es oft). Man begegnete Menschen, die sich vorher geballt nie tagsüber im Haus trafen und nun versuchten, ihre verschiedenen Rhythmen aufeinander abzustimmen. Mal mit mehr Erfolg, mal mit weniger. Eltern können so manches, aber eines nicht: Freunde ersetzen. In einer Zeit, in der 17-Jährige neu gewonnene Freiheiten leben und erkunden, werden sie nun mehr in die Familien „zurückgeworfen“. Es ist gut, wenn dann der beste Freund den festen Hausstand ergänzen kann.

Je länger der reine Distanzunterricht dauert, desto schwerer fällt es mitunter, sich zu motivieren. Auch die Frage, wer am Ende was genau verstanden hat, ist für uns erst beantwortet, wenn Schule wieder so richtig im Fluss und vor Ort stattfindet.

Das ganz persönliche Resümee in Sachen Distanzunterricht fällt dennoch positiv aus. Es geht momentan um die Frage, mit welchen Konzepten man guten Unterricht anbieten kann. Besagte Konzepte liegen nicht in der Schublade und nicht alles ist möglich. Realität hält sich oft nicht an Theorie. Vieles ist ein Ausprobieren, Optimieren und Korrigieren. Funktionieren kann es nur mit Engagement und Bereitschaft aller, sich darauf einzulassen.“

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