Tabletklassen am Schulzentrum Marienhöhe

Tabletklassen am Schulzentrum Marienhöhe

Am Schulzentrum Marienhöhe gibt es seit einem Jahr eine Tabletklasse. Zusätzlich zu Heften, Büchern und Collegeblöcken kommen die Tablets auf vielfaltige und kreative Weise zum Einsatz. Frau Martina Zeidler-Krist, seit 1999 Lehrerin für die Fächer Deutsch und Musik am Schulzentrum Marienhöhe, erzählt in einem Interview, wie man sich den Unterricht mit Tablets vorstellen kann und welche Vorteile er bietet:

Interview mit Martina Zeidler-Krist, seit 1999 Lehrerin für die Fächer Deutsch und Musik am Schulzentrum Marienhöhe.

Mit dir wurde die „Tabletklasse“ auf der Marienhöhe eingeführt. Wie kam es dazu?

Ich habe in letzter Zeit sehr viel über Digitalisierung nachgedacht und ich bin jemand, die sagt: „Ok, ich probier einfach mal.“ Ich hatte mit meiner Klasse, damals die sechste Klasse unserer Realschule, eine Klasse, der ich das zugetraut habe. Mir war bewusst, dass ich mich auf absolutes Neuland begebe. Das hat vorher keiner hier ausprobiert. Daher brauchte ich eine Klasse, auf die ich mich verlassen konnte, bei der ich wusste, dass sie so diszipliniert ist, dass wir auch mit Fehlern gut umgehen können. Außerdem hatte ich auch den Rückhalt der Eltern.

Welche Schritte bist du bis zur Einführung der Tabletklasse gegangen?

Zunächst habe ich meine Idee und mein Konzept dem Realschulleiter vorgestellt. Dort sind sie erfreulicherweise auf Begeisterung gestoßen. Da wir bereits einen Satz Tablets hatten, die wir dann noch personalisieren mussten, ging es dann eigentlich recht schnell. Die Eltern wurden informiert und deren Zustimmung für die Verarbeitung der Daten eingeholt. Danach habe ich an einem Vormittag die Tablets mit meiner Klasse eingerichtet. Wir hatten Telefonsupport von unserem IT-Dienstleister All4Net und nach vier Stunden war alles eingerichtet. Die Kinder haben sich so gefreut, dass sie darauf bestanden haben, dass wir bei All4Net anrufen und uns für die Unterstützung bedanken. Das haben wir dann auch gemacht. Von da an habe ich mir hauptsächlich in meinen Klassenleitungsstunden Zeiten genommen, wo wir die Basics gelernt haben, wie „Wie benenne ich Dokumente um?“, „Wie lege ich Dateien ab, damit ich sie wiederfinde?“, wir haben das 10-Finger-System trainiert. Die erlernten Skills haben wir dann im Deutschunterricht angewendet und inhaltlich gefüllt.

Wie darf man sich den Deutschunterricht in deiner Tabletklasse vorstellen? Was ist anders im Vergleich zum „normalen“ Unterricht?

Die Aufgabenstellung verändert sich und meine Rolle als Lehrkraft verändert sich. Ich werde an vielen Stellen jetzt mehr zum Lerncoach. Und ich habe die Möglichkeit, sehr viel mehr auf die Schülerinnen und Schüler einzugehen. Auch die Aufgabenstellungen sind so, dass ich viel stärker differenzieren kann. Wir sind als Lehrkräfte ja angehalten, sowohl leistungsschwache als auch leistungsstarke Schülerinnen und Schüler zu fördern. Das Tablet bietet hierfür sehr viele Möglichkeiten. Meine Klasse arbeitet sehr gerne am Tablet, da das Erstellen und Überarbeiteten von Texten sehr viel frustfreier ist als im Heft. Dinge einfügen, bearbeiten, umstellen – all das ist möglich ohne Tintenkiller und TippEx. Dieser ästhetische Aspekt ist vielen Schülerinnen und Schülern wichtig. Ich kann auch kreative Aufgaben stellen. Wir haben zum Beispiel gerade eine Fotostory erstellt zu einer Lektüre. Diese Fotostory wäre analog extrem schwierig umzusetzen. Fotos machen, ausdrucken, aufkleben, Sprechblasen einfügen – das wäre alles viel umständlicher und auch schlecht zu überarbeiten, wenn etwas schiefgeht. Am Tablet ist das kein Problem und meine Klasse hatte sehr viel Spaß. Aktuell soll meine Klasse ein Interview führen. Das können sie entweder als Video oder als Radiobeitrag gestalten. Auch hier bietet das Tablet natürlich ganz andere Möglichkeiten. Die Kreativität im Deutschunterricht nimmt deutlich zu.

Werden die klassischen Aufgabenstellungen wie Texte schreiben, Diktat und so weiter auch am Tablet bearbeitet?

Zum Teil, ja. Es wird nach wie vor auch auf Papier geschrieben. Das finde ich wichtig, da es ein Unterschied ist, ob ich auf einer Glasoberfläche schreibe oder ob ich tatsächlich den Widerstand von Papier spüre. Da die Handschrift meiner Tabletklasse als Siebtklässler noch nicht vollständig ausgeprägt ist, achte ich darauf, dass die Schülerinnen und Schüler regelmäßig mit Füller auf Papier schreiben, damit sie lernen, flüssig per Hand zu schreiben. Aber wir schreiben auch am Tablet. Diktate am Tablet zu schreiben war eines der ersten Dinge, die ich ausprobiert habe. Wenn man diktiert, ist es ja häufig so, dass einige nicht mitkommen und ständig Sätze wiederholt werden müssen. „Stopp, halt, können Sie nochmal…?“ – das bringt unheimlich viel Unruhe rein und stört die Konzentration der anderen. Also habe ich alle Diktate Satz für Satz eingesprochen und eine digitale Pinnwand erstellt mit den Audiodateien. Die Schülerinnen und Schüler hören sich zunächst das ganze Diktat an und dann können sie sich Satz für Satz diktieren lassen und sich die einzelnen Sätze so oft anhören, wie sie möchten. Ich habe zum Beispiel auch kleine Hilfen für Schülerinnen und Schüler mit LRS auf der Pinnwand mit den Rechtschreibstrategien. Diese können sie nutzen, wenn sie möchten. Und dann sitzen sie mit ihren Kopfhörern am Tablet und schreiben ihr Diktat und sind deutlich entspannter.

Konntest du auch einen Unterschied in der Leistung feststellen?

Ja, auf jeden Fall! Nachdem die anfängliche Unsicherheit mit der neuen Methode überwunden war, haben sie deutlich weniger Fehler gemacht, weil sie beim Durchlesen viel mehr Fehler entdeckt und korrigiert haben. Ich denke, dass die entspannte Arbeitsatmosphäre in der Prüfungssituation dazu beiträgt, dass es leichter ist, Fehler zu identifizieren und zu verbessern. Es gibt so tolle Möglichkeiten der Differenzierung in heterogenen Lerngruppen. Wir mussten uns beispielsweise mit unregelmäßigen Verben beschäftigen, was eine sehr trockene Angelegenheit ist. Ich habe das einfach in eine Tabellenkalkulation eingebaut, so dass sie direkt Feedback bekommen haben, ob die Form richtig ist oder nicht. Während sie alle am Arbeiten waren, hatte ich die Zeit, mich zu denjenigen dazuzusetzen, wo ich merkte, dass sie am Verzweifeln waren. Ich konnte sie individuell unterstützen. Hätte ich diese Einheit im Klassenverband durchgenommen, hätte ich niemals die Zeit gehabt, Einzelne zu fördern. Noch dazu hätten sich diejenigen, die mit dem Thema keine Schwierigkeiten haben, gelangweilt. Das klassische Dilemma.

Da stellt sich mir jetzt die Frage nach der Vorbereitung: das ist ja ganz anderes Material, das du in deiner Tabletklasse verwendest. Kostet dich das aktuell viel mehr Zeit als vorher und wie kommst du damit klar?

Ja, ich habe sehr viel Zeit investieren müssen. Daher wünsche ich mir sehr, dass noch mehr Kolleginnen und Kollegen einsteigen und wir gemeinsam an der Erstellung von Materialien und Unterrichtsentwürfen arbeiten. Außerdem können wir nach dem Motto „Sharing is Caring“ Materialien gegenseitig zur Verfügung stellen. Ich hab großes Glück, dass ich viel im #twitterlehrerzimmer gefunden habe. Dort kann man sich mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Schulen vernetzen und Anregungen und Materialien bekommen. Ich bin wie ein Trüffelschwein unterwegs, immer auf der Suche nach nützlichen Tools, guten Materialien, innovativen Ideen.

Wie kann es jetzt weitergehen?

Das Nächste wäre, dass unsere Schülerinnen und Schüler ihre Tablets mit nach Hause nehmen können, um an den Aufgaben weiterzuarbeiten. Aktuell nutzen wir die Tablets nur im Unterricht und die Geräte bleiben in der Schule. Mir fällt es schwer, zu einer digitalen Aufgabenstellung eine analoge Hausaufgabe aufzugeben, die sinnvoll ist. Da fehlt mir dann die Vorbereitungszeit. Ich gestalte zur Zeit manche Unterrichtseinheit als „flipped classroom“, das heißt, die Schülerinnen und Schüler sollen sich zu Hause ein Video oder einen Text im Vorfeld zu Hause anschauen und in der nächsten Stunde bauen wir darauf auf. Das Prinzip ist toll, funktioniert aber nicht immer. Wenn die Geräte mit nach Hause genommen werden könnten, gäbe es natürlich viel mehr Möglichkeiten.

Wir müssen als Schule umdenken. Wir müssen mehr dahinkommen, unsere Schülerinnen und Schüler beim Lernen zu begleiten. Für mein Verständnis geht es nicht mehr nur darum, dass ich Wissen vermittle, sondern ich muss das Arbeiten lehren. In einer Klasse sind so viele unterschiedliche Herangehensweisen an das Lernen. Mit den Möglichkeiten, die die Tablets bieten, können wir besser auf die Unterschiedlichkeit eingehen und werden so den Schülerinnen und Schülern in ihrer Einzigartigkeit gerecht. Ich träume von fachübergreifendem, themenorientiertem Unterricht mit einem flexiblen Verständnis von Unterrichtsräumen und Unterrichtszeiten. Aber das ist natürlich der übernächste Schritt.

Das klingt nach einer spannenden Reise und ich freu mich, dass wir als Schule mutig vorangehen als digitale Schule. Vielen Dank für das Interview!

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